Feindbilder abbauen

Ein Interviev 

Industriemanager und Umweltschützer sprechen sehr verschiedene Sprachen.
Klaas Apitz versucht mit seinem Beratungsbüro zu "dolmetschen".  

natur: Ihre Düsseldorfer Apitz Image + Strategie GmbH hat sich auf Beratung in Krisensituationen spezialisiert: wilde Streiks, Erpressungen, Sabotage; ein besonderer Schwerpunkt ist die Strategieberatung bei Umweltkonflikten. Was erwarten Ihre Kunden da von Ihnen?

Apitz: Unsere Kunden heißen Klienten. Der feine Unterschied ist der, daß ein Kunde etwas kauft, was er in die Hand nehmen kann, ein Klient eine geistige Substanz erwirbt. Tja, was erwarten die? Sie erwarten in der Regel, daß wir zaubern können. Sie kommen mit einem Problem, das man so nennen kann: Das Kind liegt im Brunnen, wird von oben schon seit drei Tagen beobachtet, es bewegt sich nicht mehr. Und man erwartet, daß wir es herausholen, kurz beatmen und sofort wieder in den Kindergarten entlassen. Wir erklären ihnen dann erst einmal, wie Kommunikation überhaupt abläuft, wie sich Meinungen bilden. Daß das ein komplizierter, langwieriger Prozeß ist, der nicht so abläuft wie das Anknipsen einer Lampe.

Darüber sind die Firmen meist verwundert. Sie kommen oft mit folgender Aussage: "Wir werden falsch gesehen. Wir sind eine Top-Firma, und die Leute meinen, wir sind ganz mies und schlecht. Man verteufelt uns, unsere Produkte sind doch so fantastisch, Sie müssen das korrigieren."

Viele der Probleme liegen im Umweltbereich. Und wir als Externe sehen Dinge, die ein Interner nicht wahrnimmt und fragen zum Beispiel: "Haben Sie schon mal bedacht, daß dies und das vielleicht gar nicht so gut ist, was Sie da machen?" Dann merken sie - und hier setzt unsere eigentliche Arbeit an -, daß sie vielleicht bisher in eine Einbahnstraße und eben oft in die falsche Richtung gedacht und gehandelt haben.

n.: Das hört sich radikal an. Der Name Image GmbH klingt ja eher nach Image aufpolieren' Schöntünchen von etwas, was eigentlich gar nicht schön ist.

A.: Tüncher sind wir nicht. Wir gehen an die Wurzeln. Strategie heißt im Zusammenhang von Image + Strategie: auch in neuen, teilweise alternativen Systemen denken. Das begreifen viele Manager erst einmal nicht. Wir sagen beispielsweise einer Firma: "Da ist etwas drin in Ihrem Produkt, was gar nicht so gut ist. Entweder Sie kriegen das raus, oder Sie sollten damit aufhören. Das heißt aber nicht, daß Sie deshalb pleite sind. Im Gegenteil: Sie haben hochintelligente Verfahrensingenieure, hochqualifizierte Leute. Begreifen Sie eine solche Krise als Chance einer Neuorientierung!"

n.: Wer sind Ihre Klienten?

A.: Namen nennen wir grundsätzlich nicht. Auch keine konkreten Beispiele für Lösungen, die wir erarbeitet haben. Unsere Klienten sind gleichermaßen progressiv denkende Mittelständler, der überwiegend größere Teil Unternehmen, die zehn, 20 oder 30 Milliarden Mark Umsatz machen. Teilweise Weltmarktführer.

n.: Und die wenden sich in Krisen an eine Mini-Firma mit fünf Mitarbeitern?

A.: Weshalb nicht? Es gibt dafür eine ganze Reihe von Gründen:

1. Betriebsblindheit.

2. Mangelnde Motivation. Wir haben einen Klienten, da ist der Vorstandsvorsitzende neu. Und der sagte mir in einem Vier-Augen-Gespräch: "Wissen Sie was? Hier laufen nur Menschen mit dicken Bäuchen rum. Die können überhaupt nicht mehr schnell gehen. Die haben alle Übergewicht. Das ist kein Zufall...

3. Wenig Erfahrung im konstruktiven Umgang mit Konflikten und Krisen. In der Regel wird ein Schuldiger gesucht, ein Kopf rollt, und es ist wieder Alltag. Die Chance eines Konflikts, einer Krise wird oft überhaupt nicht erkannt, weil die Denkstrukturen starr sind.

4. Sparringspartner für strategische Denkmodelle...

n.: Großunternehmen sind also unflexibel, unkreativ und unsensibel gegenüber Kritik von außen?

A: Es gibt in der Industrie kaum eine Organisation, die im klassischen Sinne Public Relations, also aktive, offene Beziehungen zur Öffentlichkeit unterhält Das ist historisch zu erklären: Vor 100 Jahren fing jemand an, etwas zu produzieren, ich sag' mal Bleistifte. Erbaute sich hinter seinem Haus einen kleinen Schuppen mit Holz und Material und hatte einen Mitarbeiter, der gedreht und geschraubt hat. Die Nachbarn kannten sie und kamen vorbei. Heute steht da eine große Fabrik, da kommen Qualm und Krach und Abwasser heraus. Außen ist ein Zaun; wer hinein will, braucht eine Legitimation. Da ist eine eigene Welt entstanden, die die Öffentlichkeit ausgrenzt. Wir hier, Ihr da...

n.: In Ihrem Buch "Konflikte, Krisen, Katastrophen" haben Sie vielen Verantwortlichen in Firmen, Verbänden und Behörden attestiert, daß sie Krisenzeichen mit "bornierter Oberflächlichkeit" übersehen. Warum ist das so, und warum muß/soll/wird sich das ändern?

A.: Ein Teil des Problems ist unser wirtschaftlicher Erfolg: Wir können in wirtschaftlichen Superlativen ertrinken, haben den meisten Urlaub, die höchste Exportquote. Das führt zu dem Bewußtsein: Wir können doch alles. Bis dann klar wird: Wir haben Riesenprobleme, über die wir am besten gar nicht nachdenken, geschweige denn reden. In der Industrie zum Beispiel ist die Denke noch weitverbreitet:

"Was geht es die Öffentlichkeit und die Journalisten an, was wir mit unseren Fässern machen? Diese Einstellung wird sich auf die Dauer rächen. Friedrich Bohmert, der ehemalige PR-Chef von Henkel, hat vor etwa 15 Jahren den ganz großen Satz geprägt: "Unternehmen, die nicht mit sich reden lassen, werden bald nichts mehr zu sagen haben." Das sollte ein Grundwissen jedes Kommunikationsfachmanns sein, aber wichtiger noch: jedes Managers. Eine Infas-Untersuchung hat gezeigt, daß nur noch sechs Prozent der Bürger die Aussagen von Sprechern der Industrie für glaubhaft halten.

n.: Wenn eine Firma mit einem konkreten Problem kommt, wie gehen Sie vor?

A.: Zwischen der Ökonomie und der Ökologie gibt es einen permanenten Wertekonflikt. Die Ökologen haben vielfältige Interessen. Nehmen wir die WWF-Leute, die wollen, daß die Tiere in der Freiheit leben können. Sie sagen nun zu den Ökonomen: "Ihr Schweine! Was ihr macht, ist Teufelswerk, ihr tötet die Tiere." Oder irgendwo steht ein Schornstein, und oben kommt eine Wolke raus, egal was. Und die Anwohner sagen: "Schweinerei, der Schornstein muß weg!" Der Ökonom wird sagen:

"Ihr versteht uns ja gar nicht, wir können das nicht ohne Schornstein machen." Die beiden Parteien haben unterschiedliche Perspektiven. Wir helfen beiden, indem wir Dialogfähigkeit schaffen.

n.: Was bedeutet das konkret?

A.: Wir sagen zu Klienten: "Sie brauchen einen Dolmetscher, wir können das interimistisch machen, aber wir geben gleichzeitig Sprachunterricht. Sie müssen die andere Sprache lernen!" Für den, der nicht lernt, dialogfähig zu werden und zu bleiben, ist das Ende vorprogrammiert. Wer in einer Konfliktsituation nicht bereit ist, dem anderen auch nur einen Millimeter entgegen zu kommen, ist nicht konsensfähig. Nur über die Borniertheit anderer zu schimpfen, ist keine Lösung. Einige Klienten engagieren uns auch nur als Sensor. Wir nehmen für sie wahr, was draußen passiert, und nach 25 Jahren Erfahrung hören wir oft das Gras wachsen, das sich oft schnell zum Dschungel ausweitet.

n.: Welche Hilfsmittel verwenden Sie?

A: Überwiegend all jene über unseren Schultern.

n.: Und welche Ergebnisse erzielen Sie?

A.: Die Klienten erkennen, daß sie in dieser Umwelt, Environment sag' ich mal, das ist umfassender, einfach gewisse Dinge nicht mehr durchsetzen können. Sie nehmen uns ernst, weil wir Krisen als Chancen verstehen und weil wir wissen, was Ökonomie ist. Manager denken leider nur in Bilanzen, Etats und Budgets. Sie haben ein Jahresziel zu erfüllen, egal wie; wenn nicht, sind sie weg vom Fenster. Diesen Managern, oder besser: diesen Firmen helfen wir zu einer neuen Qualität des ökonomischen Denkens und Handelns auf der Basis der Ökologie. Das ist strategische Zukunftssicherung.

n.: Was würden Sie Buschhaus oder Stade empfehlen? Sich unter den heutigen Gegebenheiten doch lieber umzuorientieren?

A.: Denkbar. Aber das muß nicht so sein. Wenn Sie den Artikel fürs Handelsblatt schreiben würden, dann würden Sie einen anderen Approach (Annäherung) zu der Sache haben. Wenn Sie für natur schreiben müssen, dann ist mir natürlich klar, in welcher Perspektive Sie das alles sehen. Für Buschhaus oder was immer Sie an Problemen haben, kann Abschalten die Alternative sein, es gibt aber auch andere. Das Entscheidende ist die Dialogfähigkeit beziehungsweise die davor geschaltete Denke des Managements. Buschhaus ist nicht dialogfähig. Und wer selbst nicht weiterkommt, zeigt Stärke, wenn er Hilfe holt.

n.: Und bekommt als Antwort Nachhilfe in Neuem Denken.

A.: Nein, wir denken gemeinsam. Verstehen Sie das richtig: Wir haben in der Industrie Super-Köpfe, die haben Super-Dinge entwickelt, aber nur unter ökonomischen Aspekten. Unsere gemeinsame Chance ist doch, unser gesamtes geistiges Potential zu nutzen, diese Superköpfe an einen Tisch zu bringen. Ich meine die Superköpfe der Ökonomie und die der Ökologie. In dieser Beziehung initiieren wir ein neues Denken, das ist sicherlich so.

Es gibt einen Punkt, den die Ökonomie ernsthaft nie in Frage gestellt hat, der heißt: Was tun wir überhaupt? Das stellt die Deutsche Bank nicht in Frage. Die Deutsche Bank ist die Deutsche Bank, und die tut das, was die Deutsche Bank schon immer getan hat. Und die Firma X macht X und denkt überhaupt nicht darüber nach, ob X gut ist oder nicht gut. Wir sind die Leute, die genau darüber nachdenken, und zwar aus einer ganz anderen Perspektive. Die heißt: Welches sind die strategischen Rahmenbedingungen, unter denen wir Menschen in der Bundesrepublik die Zukunft meistern können.

n.: Und das leuchtet den Klienten ein?

A: Ich benutze gern folgenden Vergleich: Man kann nicht über mehrere Stunden mit einem vollgepackten Rucksack eine immer höhere Steigung erklimmen. Das ist unmöglich. Ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum ist auf die Dauer nicht machbar. Es kann nicht immer alles größer werden. Nehmen wir einen Baum als Beispiel. Der höchste mag 86 Meter hoch sein, vielleicht gibt es auch einen mit 87 Metern. Aber es gibt einfach organische Grenzen. Der Zwang zum Wachstum ist das System zum Fehler. Aber malen Sie sich heute die Szene aus: Sie kommen zu einer Aktionärsversammlung und der Vorstandsvorsitzende fängt an: "Meine Damen und Herren, wir haben heute einen Umsatz von 55 Milliarden, im nächsten Jahr peilen wir an: 35 Milliarden."

n.: In Ihrem Buch bringen Sie das Beispiel "Grüner Aktionäre", die 1986 von Hoechst gefordert haben, 15 Prozent des Bilanzgewinns als Wiedergutmachung für Personen zu verwenden, die Schäden durch das Unternehmen erlitten haben. Sie kommentieren dazu, die Industrie müsse sich auf weitere, eventuell massivere Forderungen gefaßt machen.

A.: Bürgerinitiativen sind Regulative, und zwar ganz wichtige Regulative in diesem ganzen System, wo Mißstände ja in irgendeiner Form zu beseitigen sind. Man muß dem Verursacher erst mal bewußt machen, daß er ein Problem erzeugt. Dabei möchte ich nicht falsch verstanden werden. Ich bin nicht der, der sagt, wir müssen mal genau hinhören, was die Ökologen sagen, die Freaks, und dann sage ich meinem Unternehmer, du mußt genau das tun. Das ist nicht die Lösung. Wenn aus einem Schornstein Qualm kommt, und ich bin gegen den Qualm als solchen, weil vielleicht meine Wäsche ein bißchen beschmutzt wird, dann ist nicht die Lösung: Der Schornstein muß runter. Das ist keine konsensfähige Lösung.

n.: Wo liegt der Ausweg?

A: Wir müssen vom kurzfristigen Clinch wegkommen und lernen, in neuen Systemen zu denken. Heute sagt die Industrie: "Wir sind toll!" Und die Ökofreaks stellen fest: "Alles ist furchtbar giftig und schlimm." Dabei bleibt's dann, jeder fühlt sich im Recht und unverstanden. Die Öko-Initiativen sind inzwischen sehr effizient, das bestreite ich gar nicht. Aber trotzdem sind sie genauso borniert wie die andere Seite. Beide sind wie Schachspieler, die nur bis zum nächsten Zug nachdenken und die Konsequenzen ihrer Handlungen nicht überblicken. Es reicht heute nicht mehr, mit Steinen zu schmeißen oder aufzutrumpfen und sich zu freuen: Wir haben Recht. Unsere Probleme verlangen ein neues Denken.

n.: Gibt es Klienten, die Sie mit Ihrem Ansatz so vor den Kopf stoßen, daß sie sich schnell wieder verabschieden?

A.: Mir fällt spontan keiner ein. Nein, weil sie erkennen, daß die Lösung nur im Konsens liegen kann.

n.: Gibt es Köpfe, die zum Umdenken unfähig sind und dann rollen müssen?

A.: Darum kommen die Leute. Das ist ein Hauptmotiv; daß sie Angst um ihren Kopf haben. Und genau das ist die Chance, die im Konflikt liegt.

natur 9/88

 

Aus Feinden Gegner, aus Gegnern Partner,

aus Partnern Freunde werden lassen!

humanistisch

weitere Seiten zum Thema Krisen/Konflikte


 
Mit freundlichen Empfehlungen 
Humanistische AKTION  
2/2000 
nach oben   -   Service   -   Menue   -   Texte-Verzeichnis   -   Stichwörter

www.humanistische-aktion.de/feindbil.htm

Aktualisiert am 11.11.11