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Frieden, Demokratie und Religion - Fördert oder behindert Religion Demokratie und Frieden?

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Frieden, Demokratie und Religion

Fördert oder behindert Religion Demokratie und Frieden?

Artikel 4 des deutschen Grundgesetzes (Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit) gewährt die ungestörte Religionsausübung. Was ist aber mit denjenigen Religionen, in denen die Kinder zur Abhängigkeit von religiösen Heilmitteln, gewissermaßen an geistige Drogen gewöhnt und damit zur Unmündigkeit erzogen werden? Verstoßen diese nicht gegen Artikel 1 (Menschenwürde, Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt), nach dem die Würde des Menschen unantastbar und sie zu achten und zu schätzen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist? Verstoßen sie nicht gegen Artikel 2 (Handlungsfreiheit, Freiheit der Person), nach dem jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt?

Die zunehmende Gewalt in unserer Gesellschaft und in der Welt gegen Mensch und Natur sollte allmählich dazu veranlassen, über die Bekämpfung der Symptome hinaus nach den tieferen, im Inneren des Menschen liegenden Ursachen für diese Entwicklung zu fragen. Geschichte und Gegenwart zeigen, daß Religion Unfrieden und Gewalt nicht nur nicht erschwert, sondern sehr oft sogar fördert. Es scheint deshalb not-wendig zu werden, hier einmal genauer hinzuschauen. Eine sogenannte Binsenweisheit sagt, daß der Friede im Menschen selbst beginnt. Ein Mensch, der mit sich selbst im Frieden ist, der wird gewaltsamen Konflikten ausweichen und zu vermitteln versuchen. Ein in sich selbst gestörter Mensch dagegen läßt sich bekanntlich leichter zu Gewalttätigkeiten hinreißen.

Wie entsteht der Unfriede im Menschen? Die allererste Störung des inneren Friedens im Leben eines Menschens entsteht bereits mit der Entbindung von seiner Mutter. Die zweite wesentliche mit der Entwicklung seines Verstandes, der ihn von seiner Mitwelt trennt, im Gegensatz zum Tier, das durch seinen Instinkt mit dieser verbunden bleibt. Um diese Trennung zu überwinden entstand Religion, Rückbindung an das Ganze.

Religion war und ist in der individuellen Anfangsphase der ersten Wahrnehmungen des Getrenntseins durch den Verstand noch ohne konkreten Inhalt, es ist noch keine Heilslehre, es ist zunächst so etwas wie Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Andächtigkeit, Offenheit und auch noch Lernfähigkeit auf diesem Gebiet. In diesem religiösen Anfangs-Stadium kann noch nicht von einer bestimmten Religion gesprochen werden, die von anderen Religionen zu unterscheiden wäre. Genauso wenig wie dies für Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Andächtigkeit usw. möglich ist. Es wäre beispielsweise absurd, etwa von einer christlichen oder von einer jüdischen Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit zu sprechen.

Ein junger Mensch, der in einer Geborgenheit aufwachsen würde, die ihm eine freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gewährte, der hätte ohne eine bestimmte religiöse oder konfessionelle Beeinflussung die Möglichkeit, mit Hilfe seines Verstandes sein naturgegebenes Getrenntsein zu überwinden und durch eigene Beobachtungen und Erfahrungen seiner Mitwelt eine individuelle un-mittelbare Verbundenheit zum Weltganzen herzustellen. Er könnte eine aus sich selbst heraus, mit Hilfe seiner ihm Geborgenheit bietenden Umwelt entstandene eigenständige, selbstbestimmte Identität entwickeln, die Voraussetzung für einen inneren Frieden ist. Er könnte die Gelassenheit und innere Sicherheit entwickeln, die natürlichen Lebensabläufe des Werdens und Vergehens anzuerkennen und nicht zu beantwortende Fragen offen zu lassen. Er könnte sich als Bestand-Teil seiner Mitwelt, bestehend aus menschlicher Gemeinschaft und der diese tragenden Natur sowohl verstandesmäßig erkennen, als auch körperlich fühlen, also seelisch oder ganzheitlich empfinden.

Er könnte genauso wie der Dichter Friedrich Schiller sagen: Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst. - Und warum keine? - Aus Religion! Er besäße damit eine heile, friedenstiftende Verbundenheit zum Weltganzen, ohne irgendwelche Heilmittel mit Nebenwirkungen wie konfessionelle oder ethnische Trennungen, die ihn in Konkurrenz zu anderen Menschen bis hin zur Verteidigung seines Glaubens, bis zum Angriff auf Andersgläubige und gar zu deren Vernichtung bringen können, wie dies fast täglich in aller Welt geschieht.

Religion im heute allgemein gebräuchlichen Sinne ist keine eigentliche Religion im Sinne von Achtsamkeit und Offenheit mehr, sondern eine reduzierte und festgelegte, reduziert um das Freie, Offene, festgelegt durch Dogmen und Tabus. Religion ist zur Konfession eingeengt worden, das heißt, zu einem Bekenntnis einer bestimmten Glaubenslehre. Konfession ist aus Religion in weit zurückliegenden Zeiten in Kulturen entstanden, die wenig Verbundenheit im zwischenmenschlichen Bereich und mit der Natur hatten beziehungsweise wenig Kenntnisse davon besaßen.

Die Angst vor Ungerechtigkeit und Willkür, vor Naturgewalten und -Rätseln hat die Menschen damals veranlaßt, Vorstellungen von tier- oder menschenähnlichen Göttern zu entwickeln, die man sich durch Opfergaben oder Bitten gewogen machen konnte. In manchen Kulturen entwickelten sich in gegenseitiger Ergänzung Monotheismus und Patriarchat. Jesus erklärte den biblischen Gott zum Vater und machte damit die Gläubigen zu Kindern. Begriffe wie Christus, der Messias, der Gesalbte, der König, Erlöser, Heiland, Retter; Bilder wie Hirte und Schafe, Bezeichnungen wie Herrgott, Gottvater, gütiger Vater, Heiliger Vater kennzeichnen ein Führerprinzip, das vermutlich auch dem Faschismus mit zur Macht verholfen und die Vernichtungslager ermöglicht hat. Solch eine Konfession mit einer Orientierung am Führerprinzip wird den heutigen Erfordernissen eines demokratischen Gesellschaftssystems in keiner Weise mehr gerecht. Demokratie braucht unabhängige, selbstverantwortliche, mündige Menschen.

Warum hat die Entwicklung des religiösen Glaubens mit der übrigen Entwicklung in der Gesellschaft nicht Schritt gehalten? Es scheint so, als würde hier wie ein Naturgesetz die Bequemlichkeit der Sicherheit auf dem Fuße folgen. Wurde erst einmal ein Glaubensgebäude geschaffen, das angenehm ist, so wird es meist nicht mehr in Frage gestellt. Es ensteht aus dem Heilmittel ein Heiligtum, ein Tabu. Und es wird auch nicht zugelassen, dieses von Kindern, die zumeist noch über eine gesunde Skepsis verfügen, in Frage stellen zu lassen. So werden auch die Kinder frühzeitig daran gewöhnt, geistige Heilmittel zu nehmen, die sie bei psychisch stabilen, eigenständigen und unabhängigen Eltern nicht nötig hätten, weil sie in diesen genügend Halt finden würden bis zur eigenen inneren Festigung durch die Aneignung selbst erworbener Kenntnisse um den Zusammenhang des Individuums mit dem Ganzen.

Aus der unspezifischen Religion, die anfangs nicht mehr war und ist als eine Achtsamkeit bezüglich der individuellen Verbundenheit zum Weltganzen, eine individuelle Haltung also, entstand eine allgemeinverbindliche Heilslehre mit speziellen geistigen und materiellen Heil- und Hilfsmitteln wie Gott, Teufel, Himmel, Hölle, Jesus, Maria, Engel, Heilige, Papst, Priester, Reliquen, Tempel, Kirchen, Messen, Gebete, Gesänge, Ablaß, Figuren, Bilder, Gottesdienste, Prozessionen, Monstranzen, Bibeln, Gesangbücher, Weihrauch, Hostien, Meßwein und dergleichen mehr. Es entwickelten sich aus der allgemeinen, unbestimmten Religion bestimmte, sich von anderen abgrenzende Konfessionen, die sich dann Religionen nannten, obwohl sie durch ihre Festlegung den freien Bereich der Religion bereits verlassen hatten. Es bildeten sich Institutionen mit professionellen Kadern und Hilfskräften, die diese Heil- und Hilfsmittel herstellen, pflegen, verwalten, vermitteln und verkaufen. Deshalb lösten sich aus den zur Konfession erstarrten religiösen Institutionen verschiedentlich auch kleinere Gruppen, die sich dann Freireligiöse Gemeinden nannten, die später allerdings dann ihrerseits teilweise auch wieder erstarrten, weil sie ihre freie Religion zum Selbstzweck machten anstatt sie anzuwenden.

Eine ähnliche Entwicklung wie von der Religion zur Konfession ist auf dem Gebiet des medizinischen Heilwesens zu erkennen. Aus der anfangs vorhandenen allgemeinen Volksmedizin entwickelte sich die heute vorherrschende Schulmedizin mit ihren verschiedenen abgegrenzten Fachbereichen. Aus den anfänglichen Naturheilmitteln entstanden künstlich erzeugte, hochwirksame Heilmittel, die allerdings ihre entsprechenden Nebenwirkungen haben und mitunter auch zur Abhängigkeit führen. In unserer Zeit ist nun wieder eine verstärkte Hinwendung zur Naturheilkunde zu beobachten, um wegzukommen von der Behandlung der Symptome und den Menschen mehr ursächlich zu heilen.

Ähnlich wie bei der Medizin, so werden auch bei den sogenannten Religionen oder richtiger Konfessionen die verschiedensten, meist geistigen Heilmittel eingesetzt, von denen auch hier einige zur Abhängigkeit des Menschen von diesem Heilmittel, anstatt zu seiner Heilung führen. Die daraus folgenden Auswirkungen in der Gesellschaft und in der Welt mit ihren Konflikten und Kriegen sind nicht zu übersehen.

So wie in der Medizin auch heute immer noch von der Gesellschaft die Schulmedizin der Naturheilkunde meist vorgezogen wird, weil diese anscheinend erfolgreicher und vor allem mit ihren schnell wirkenden chemischen Arzneimitteln bequemer ist, so werden heute auch auf dem Gebiet des Glaubens noch immer in der Gesellschaft allgemein die Konfessionen und Sekten mit den am bequemsten wirkenden Heilmitteln bevorzugt. Daß diese vielfach zur Abhängigkeit führen und deshalb den Menschen nicht heilen, das wird erst ganz allmählich und sehr vereinzelt mit zunehmendem Erkennen der Zerstörung unserer Welt bewußt.

Wie in der Medizin, so hat es jedoch auch hier wenig Sinn, die zur Abhängigkeit führenden Heilmittel den Abhängigen einfach zu entziehen, wie dies von einigen Menschen gefordert wird, die meist selbst keinen Weg zum Heil weisen können. Wirksamer ist die Unterstützung einer Weiterentwicklung des Menschen durch stetige öffentliche Aufklärung zu seiner Selbstheilung. Diese kann am ehesten durch eine un-mittelbare Rückbesinnung auf die naturgegebene Bestimmung des Menschen und durch ein behutsames Zurücknehmen und schließlich gänzliches Absetzen der abhängigmachenden Heilmittel erfolgen.

Kriterien für die Beurteilung von Konfessionen bezüglich ihrer Fähigkeit, den Menschen zur Unabhängigkeit, zu einer stabilen Identität und Mündigkeit zu führen, müßten deutlich benannt und angewandt werden, damit die in Artikel 1 (Menschenwürde, Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt) und 2 (Handlungsfreiheit, Freiheit der Person) unseres Grundgesetzes angeführte unantastbare Würde des Menschen geachtet und geschätzt, und das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht durch die in Artikel 4 (Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit) gewährte ungestörte Religionsausübung gefährdet wird. Kriterium für die Qualität einer Religion bzw. Konfession wäre deren Fähigkeit, Heil zu stiften in der diesseitigen Welt, ohne Heilmittel, die zur Abhängigkeit führen.

Demzufolge erscheint es unerläßlich, von den Vertretern der religiösen Konfessionen zu fordern, daß sie in Achtung des Grundgesetzes einen schrittweisen Abbau der abhängigmachenden Heilmittel betreiben, daß sie sich an den eigentlichen, humanistischen Inhalten ihrer Heilslehren orientieren und strikt auf jede noch so gut gemeinte Einflußnahme konfessioneller Art auf unmündige Menschen, besonders auf Kinder, wie Taufe und Unterrichtung freiwillig verzichten, damit im Interesse einer heileren Welt Menschen heranwachsen können, die weitgehend unabhängig von jeglichen materiellen und geistigen Heilmitteln sind.

F r i e d e
 
Der erste Friede,
der wichtigste ist der,
welcher in die Seelen der Menschen einzieht,
wenn sie ihre Verwandtschaft,
ihr Einssein mit dem Universum begreifen
und inne werden,
daß im Mittelpunkt der Welt
das große Geheimnis wohnt,
und daß diese Mitte tatsächlich überall ist.
Sie ist in jedem von uns.
Dies ist der wirkliche Friede,
alle anderen sind lediglich
Spiegelungen davon.
Der zweite Friede ist der,
welcher zwischen Einzelnen geschlossen wird.
Und der dritte ist der zwischen Völkern.
Doch vor allem sollt ihr verstehen,
daß es nie Frieden
zwischen Völkern geben kann,
solange nicht der erste Friede vorhanden ist,
welcher, wie ich schon oft sagte,
innerhalb der Menschenseelen wohnt!

 
Hehakà Sapa, Ogallal-Sioux

 
Das 'Prinzip Verantwortung' wäre heute dem 'Prinzip Glaube, Hoffnung, Liebe' voranzustellen, eine Ergänzung der Menschen-Rechte mit entsprechenden Menschen-Pflichten wäre nötig. Eine ethische Orientierung an einem realistischen Leitbild, das alle Menschen unserer einen Welt vereint, das zur Mündigkeit, zur Stabilisierung des Individuums und damit der Gesellschaften führt, sollte gewählt werden, die in einem Bekenntnis zu dem neu und umfassend verstandenen Begriff Humanismus, was soviel wie Menschentum bedeutet, Ausdruck finden könnte. Vor dem Wirtschaftswachstum wäre zu fordern und zu fördern: Wachstum an Menschlichkeit, um die mit der Rationalisierung einhergehende Vergrößerung der Ungerechtigkeit zu verringern. Wissen und Geld sind in unserer Welt reichlich vorhanden, nur sehr ungleich verteilt. Was jedoch fehlt und immer mehr verloren zu gehen scheint, das ist Menschlichkeit.

Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, als Mensch?
Gotthold Ephraim Lessing

Eine Religion im eigentlichen Sinne, ohne abhängig machende Heilmittel, eine unspezifische Religion, die durch Heilung der un-mittelbaren, ganzheitlichen Verbundenheit des Einzelnen zum Weltganzen zur Mitverantwortlichkeit und zur Stabilisierung der Menschlichkeit führt, eine solche echte Religion erst würde die Orientierung an einem universellen, mündigen Menschentum ermöglichen und so nachhaltig der Demokratie und damit dem Frieden dienen.

Rudolf Kuhr

Den Inhalt dieser Seite gibt es jetzt - zusammen mit weiteren 43 wesentlichen Seiten dieser Homepage -
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Krieg ist die Kompensation des
nicht ausgelebten männlichen
Sexualtriebes mit freundlicher
Unterstützung von Wirtschaft,
Politik und Medien.

(aus humanistischer Sicht)

Die Sache des Friedens ist zu wichtig,
um sie denjenigen zu überlassen,
die am Krieg verdienen!

 
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Humanistische AKTION

8/1996,2
 

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Aktualisiert am 25.10.11