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	  Jacob Grimm oder Angst um unsere Sprache
	von Rolf Hochhuth
 Danksagung bei Entgegennahme des ersten Jacob-Grimm-Preises in
	Kassel am 3. November 2001
 
	Die hohe Ehre, helle Freude, und nicht zuletzt dank der
	Eberhard-Schöck-Stiftung der stattliche Scheck, die einem Deutschsprachigen
	zuteil werden, der als erster den Jacob-Grimm-Preis erhält; ihn nicht
	irgendwann erhält, sondern zum hundertfünfzigsten Jahrestag der
	Gründung des Deutschen Wörterbuchs: 1850 begann Jacob Grimm mit
	dem ersten Band von A bis Biermolke, drei Jahre später erschienen; dies
	alles samt dem Vergnügen, anlässlich eines Sprachpreises dankbar
	unsere Sprache preisen zu dürfen -, sie könnten einen den Maßstab
	verlieren lassen!
	 
	Doch leider gibt es da - mir als Wahl-Basler seit achtunddreißig Jahren
	stets gegenwärtig und alles andere als beflügelnd -, den erheblichen
	Freude-Dämpfer, dass Jacob Burckhardt, nur elf Jahre nach Jacob Grimms
	Tod, die - so der Titel: - "kommende Weltherrschaft der englischen Sprache"
	prophezeit hat! Mit der schauerlichen Folgerung, Zitat: "Die Rettung
	deutschgeschriebener Bücher kann nur ihre Übersetzung ins Englische
	sein." So Burckhardt 1874, doch noch heute nicht gedruckt dieser Vortrag,
	vor dem Verein junger Kaufleute in der Aula des alten Museums ... Diese geniale Voraussage ist nach
	hundertsiebenundzwanzig Jahren keine mehr, sondern eine Tatsache. Der
	Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat mich im Oktober informiert,
	dass Deutschsprachige im Jahr 2000 5.519 Bücher aus dem Englischen
	übersetzt haben, doch Englischsprechende aus dem Deutschen nur 248
	Bücher. Wir haben 2.058 belletristische Werke aus dem Englischen
	übersetzt - die Englischsprechenden von uns 38!
 
	Was da Burckhardt bereits als bedrückende Gewissheit aussprach, hat
	zuweilen auch schon Jacob Grimm als Vorahnung beunruhigt; anders sind einzelne
	Sätze, ja Beschwörungen in seinem Vorwort zum Deutschen
	Wörterbuch gar nicht zu lesen. Für uns heute, da längst unsere
	Sprache nicht nur mehr bedroht ist, sondern weltweit schon durchs Englische
	verdrängt, auch deshalb weil gar nicht zugelassen in den internationalen
	Gremien wie Unesco oder EU, - für uns heute sind Grimms Vorahnungen
	vor anderthalb Jahrhunderten nicht mehr bloß alarmierend, sondern
	längst zu beklagende Verlust-Anzeigen!
	 
	Grimm schreibt im 6. Kapitel: 'Fremde wörter', ich zitiere: der
	"ausländerei und sprachmengung" solle sein Wörterbuch "keinen vorschub,
	sondern will ihr allen redlich abbruch thun, geflissentlich aber auch die
	abwege meiden, auf welche von unberufenen sprachreinigern gelenkt worden
	ist. ohne an der schönheit und fülle unserer sprache selbst wahre
	freude zu empfinden, strebt dieser ärgerliche purismus das fremde, wo
	er seiner nur gewahren kann, feindlich zu verfolgen und zu tilgen".
	 
	Diese Sätze, die Grimm freisprechen von jedem Verdacht nationalistischer
	Deutschtümelei, legitimieren ihn dann doch absolut zu seinem Dekret:
	 
	"Zur annahme fremder wörter bewog unser alterthum nicht nur ihr fester
	zusammenhang mit der überlieferung der kirche und schule ... Allmälich
	begann jener widerwille gegen den fremden laut sich abzustumpfen und ...
	den fremden wörtern wurde der zutritt ohne noth erleichtert: man suchte
	nun eine ehre darin, das heimische aufzugeben und das fremde an dessen stelle
	zu setzen.
	 
	Es ist pflicht der sprachforschung und zumal eines deutschen wörterbuchs
	dem maszlosen und unberechtigten vordrang des fremden widerstand zu leisten
	..."
	 
	Die Großtat: Grimmsches Wörterbuch hat ein Philologe einen
	"Pyrrhussieg der Germanistik" geschimpft, aber was heißt das schon.
	Erstens gibt es überhaupt, wenn Siege, nur Pyrrhussiege; zweitens ist
	der Vorwurf, durch die Vorbehalte der Grimms gegen "fremde Wörter" fehlten
	zum Beispiel die Worte Demokratie und Kultur, zu relativieren. Denn der Band,
	der das Wort Kultur hätte enthalten sollen, ist erst 1873 erschienen,
	also zehn Jahre nach Jacobs Tod ...
	 
	Rührend und immerhin die Macht der Sprache überhaupt dokumentierend,
	dass Jacob Grimms Hoffnung in der Vorrede: Sein Wörterbuch solle Ausdruck
	sein einer - wörtlich - "erstarkten Liebe zum Vaterland und untilgbaren
	Begierde nach seiner festeren Einigung" - tatsächlich die Spaltung in
	Besatzungszonen 1945 überlebt hat: Denn während der Spaltung zwischen
	Ostzone und Westzonen wurde noch in den Trennungsjahren dieses einst von
	Friedrich Wilhelm IV. finanzierte "historische Monument", nach abermals
	dreiundneunzig Jahren: 1961 in Göttingen und Ostberlin mit dem 32. Band
	zu Ende erbaut. Die nun endlich A - Zypressenzweig 350 000 Worte enthaltende
	deutsche Wörterschatz-Kammer!
	 
	Im August dieses Jahres hat der Chronist der Mühsal mit dieser
	"Naturgeschichte der Wörter": Ralf Berhorst in der 'Süddeutschen'
	den 40. Jahrestag des vorläufigen Abschlusses gefeiert; hat auch so
	närrisch-pikante Einzelheiten überliefert, die unsere Nachwelt
	nur mit erbitterter Ironie angesichts unseres ewig deutsch-deutschfeindlichen
	Charakters lesen wird, der sogar noch "an diesem riesigen Wortmassiv ...
	Spuren hinterlassen hat": Die Ostberliner Gelehrten hatten im SED-Staat ihre Mitarbeit
	am Grimm dadurch rechtfertigen müssen, die DDR dürfe doch "das
	Wörterbuch nicht dem Klassenfeind überlassen ..."
 
	"Man hütete sich, die andere Seite durch ideologische Einsprengsel zu
	sehr zu provozieren. Kontakte gab es nur unter diplomatischen Verrenkungen,
	die Arbeitsstellenleiter durften sich lediglich in ihren Privatwohnungen
	besuchen." Einer der Redakteure, "Wilhelm Braun hat vierzig Jahre am Grimmschen
	Wörterbuch mitgeschrieben. Allein für die Präposition 'an'
	wühlte er sich ein Jahr lang durch 17000 Zettelbelege. Er sei jedoch
	um so faszinierter gewesen, je länger er dabei war. Jedes Wort habe
	ihn entführt in neue Wissensregionen."
	 
	Ja, müssen wir mit Karl Kraus hinzusetzen: Und entführt zu neuen
	Gedanken, gemäß der Empfehlung des Wieners: "Man nehme den Gedanken
	beim Wort und dann kommt er" - was mindestens jeder, der Gedichte macht,
	als wahr bestätigt.
	 
	"Totalverzettelung" - so lautet der terminus technicus, der vor genau 150
	Jahren am Anfang der Wörterbucharbeit stand. Im ganzen Land verzettelten
	über 80 Helfer deutsche Literatur von Luther bis Goethe und trugen so
	600 000 Wortbelege für das Alphabet zusammen.
	 
	Total-Verzettelung ist denn auch die so unabsehbare wie unentrinnbare Gefahr,
	in die sich jeder begibt, der in einer halben Dankstunde Jacob Grimm huldigen
	will.
	 
	Der aber doch zunächst, wenn er auf die Brüder Grimm zu sprechen
	kommt, wie selbstverständlich jedermann, ja wie jeder Erdbewohner, so
	kann man fast sagen - und die Brüder Grimm sind die einzigen Deutschen,
	von denen man das sagen kann -, der zuerst einmal natürlich dafür
	danken muss, dass sie uns ihre Märchen geschenkt haben! Übrigens
	bereits als Jünglinge in ihren Geniejahren: Mit zwanzig, unglaublich,
	fingen sie an zu sammeln.
	 
	Erst 27 war Jacob, erst 26 Wilhelm, als die zwei Unzertrennlichen den ersten
	Band der Märchen bereits hatten drucken lassen! Jünglingsleistungen,
	vergleichbar allein der epischen Jugendkraft der zwei erst
	Fünfundzwanzigjährigen, die 'Werthers Leiden' und 'Buddenbrooks'
	schon veröffentlicht hatten. Aber da sogenannte Kinderlektüre,
	wird stets übersehen, weil einsam hohen literarischen Rang Grimms
	Märchen auch haben! Wer schrieb denn sonst 1812 ein so schlagartig
	populäres, weil humorgesättigtes Deutsch? Ja, einer noch: Dreizehn
	Jahre später als die beiden Grimm, der unbegreiflich frühreife
	23-jährige Wilhelm Hauff!
	 
	Die Qualitäten als Dichter, die jene von 'Werther', von 'Buddenbrooks'
	auszeichnen - sie sind selbstverständlich ebenso in jenen zwei noch
	nicht Dreißigjährigen, die 'Sechse kommen durch die ganze Welt'
	oder 'Die Bremer Stadtmusikanten' gedichtet haben -, jawohl, nicht nur
	nacherzählt, denn sonst wäre auch Herodot kein Dichter gewesen:
	absurd! Und um hier gleich zwei der mir persönlich liebsten ihrer
	Märchen zu nennen; ich konnte sie mir als Kind nicht oft genug vorlesen
	lassen, glaube heute auch zu wissen, warum: ich war ein oft so trauriger
	wie auch spöttischer Junge, tief lebensängstlich, daher ich die
	optimistischen Märchen: 'Bremer Stadtmusikanten' und 'Sechse kommen
	durch die ganze Welt" am meisten liebte und brauchte zur Wiederherstellung
	meines seelischen Haushalts. Sie sind geschrieben wie nach der Urerfahrung:
	"Humor ist die Humanisierung der Wahrheit", eine herrliche Sentenz, die neulich
	der SPIEGEL entdeckt hat: Eintrag Thomas Manns in ein Gästebuch ...
	 
	In Grimms Märchen klingt als geistiger Widerhall der französischen
	Revolution ihre radikale Gesellschaftskritik: Aphoristisch einleuchtend,
	wie beiläufig, gar nicht schulmeisterlich. Ein Beispiel aus dem ziemlich
	unbekannten Märchen: 'Der Wolf und der Mensch': Als einst der Fuchs
	dem Wolf Angst machte vor der Stärke der Menschen, der kein Tier gewachsen
	sei, bat der Wolf, ihm doch einmal einen Menschen zu zeigen; ich zitiere:
	"Zuerst kam ein alter abgedankter Soldat. 'Ist das ein Mensch?' fragte der
	Wolf. 'nein, das ist einer gewesen' antwortete der Fuchs" - worauf der Wolf
	den Invaliden nicht angriff. Kann man sarkastischer, aufklärerischer,
	mitleidiger - mit einem Wort: so drastisch wie Voltaire formulieren? Doch Gesellschaftskritik beschränkt sich viel seltener
	bei den Grimms nur auf Mitgefühl für den sozial Verunglückten
	- nein, sie ruft meist in den Märchen zur Rebellion auf! Rebellion
	legitimiert durch Unrecht.
 
	Die treuen Bremer Stadtmusikanten sind ja nicht spaßeshalber gegen
	ihre Peiniger aufgestanden - sondern erst, als die ihnen ans Leben wollten.
	Und der Erste der "Sechse" war "ein Mann" - so beginnt das Märchen -,
	"der verstand allerlei Künste; er diente im Krieg und hielt sich brav
	und tapfer, aber als der Krieg zu Ende war, bekam er den Abschied und drei
	Heller Zehrgeld auf den Weg. 'Wart' sprach er, 'das lass ich mir nicht gefallen,
	finde ich die rechten Leute, so soll mir der König noch die Schätze
	des ganzen Landes herausgeben'. Da ging er voll Zorn in den Wald" - ein Satz, der exakt hundert Jahre nach Beginn der Arbeit
	am Wörterbuch 1951, mit Jüngers 'Waldgang' zum imperativen Titel
	für zivilen Ungehorsam werden sollte, genau so gemeint wie in diesem
	Märchen: "Da ging er voll Zorn in den Wald"; wie auch Schillers
	Räuber.
 
	Absurd, dass ausgerechnet wegen der Märchen, die erzpolitisch sind,
	den Brüdern Grimm versagt blieb, auch als bedeutende politische Dichter
	anerkannt zu werden - die doch die Brüder selbstverständlich von
	Natur schon gewesen sind, diese Zwei der dann so standhaften nur sieben
	Göttinger. Andererseits: Hätte man schon im 19. Jahrhundert in
	den Märchen aufgespürt, wie politisch die auch sind - keineswegs
	nur, aber auch -, sie wären vermutlich längst vergessen. Denn,
	wie Frank Wedekind aus eigener Erfahrung dichten musste; und auch ich selber
	mache diese Erfahrung seit nun vierzig Jahren; und musste schon vor dreißig
	Jahren diese Wedekind-Zeilen als Motto meinen Aufsätzen: 'Krieg und Klassenkrieg' voranstellen:
 
	"Ein Schriftsteller, wo er politisch auch schreibt, in Deutschland ein Schuft
	unter Schurken bleibt".
	 
	Der dann auch noch wie kein anderer Deutscher Weltruhm als Komödiendichter
	hatte, wurde aus sogenannten politischen Gründen abgestochen wie ein
	Schwein, das heißt: wie Kotzebue, über den Jacob Grimm an Wilhelm
	aus Paris schreibt, anläßlich des Pariser Theaters: "Kotzebue
	hat darin recht seinen Sitz aufgeschlagen, denn von niemand anderem ist etwas
	gegeben". Wilhelm antwortet aus Marburg, indem er aus einer schweizer Zeitschrift
	zitiert; denn keine deutsche hätte so positiv über einen deutschen
	Dichter geschrieben; Wilhelm zitiert aus einem Essay: "Toleranz in der
	schönen Literatur": Man solle "sich freuen und stolz darauf sein, einen
	Mann wie Kotzebue zu haben, dessen Schauspiele am Ganges und an der Donau,
	Themse etc mit allgemeinem Beifall aufgenommen würden, einen solchen
	Mann habe keine andere Nation"! Totgemacht, weil politischer Tätigkeit
	bezichtigt! In Deutschland wird sogar Lyrik, wenn sie politisch ist, als
	Journalismus abgetan - immer! Freiligrath, Herwegh, um nur zwei Liquidierte
	aus Grimms Epoche zu nennen - obgleich Heine, Burckhardt, Fontane Herwegh
	als dem Lyriker ihrer Zeit gehuldigt haben wie keinem anderen: Heine als
	der Lyriker nach Goethe; Burckhardt als der den Musen engstverbundene aller
	Historiker; Fontane, der sogar im Gedicht drucken ließ:
	 
	"Herwegh, Karl Beck und Dingelsteten Erhob ich zu meinen Leibpoeten".
	 
	Den Dreien wäre unser heutiger Spleen - der so engstirnig ist, dass
	er auch wieder bachab gehen wird, aber wie viele hat er dann als Autoren
	vernichtet auf der Strecke gelassen! - wäre der Spleen der Gegenwart,
	Politik "gehöre" nicht in Gedichte, überhaupt nicht begreiflich
	gewesen. Heine dichtete an Herwegh den herrlichen Zehnzeiler:
	 
	"Herwegh, du eiserne Lerche, Mit klirrendem Jubel steigst du empor" ...
	 
	Und Burckhardts Jugendbriefe, im Biedermeier, stellen Herwegh höher
	als jeden anderen zeitgenössischen Lyriker; zum Beispiel schreibt der
	Sechsundzwanzigjährige 1844:
	 
	"Ich habe den neuen Band Herwegh gelesen. Es ist doch noch viel Großes
	und Herrliches darin; das Lied an Prutz und: Die deutsche Flotte, sind
	Edelsteine. Aber schwach und gemein zugleich sind mehrere Xenien und das
	Duett zwischen Geibel und Freiligrath. Da ist Freiligraths Angriff nobel
	und würdig daneben. Geibel hatte es vollends nicht um Herwegh verdient,
	so in den Kot gezogen zu werden. Daneben muss ich Herweghs gänzliche
	Rücksichtslosigkeit bewundern; er konnte wissen, wie viele Leser ihm
	das sogenannte 'Heidenlied' entfremden müsse, und er hat es dennoch
	abdrucken lassen. Im ganzen ist es wehtuend, diesen zweiten Band mit dem
	ersten zu vergleichen - die aufjubelnde Begeisterung und Hoffnung von 1841
	mit der gänzlichen Depression von 1844! - Am Ende steht ein Gedicht:
	'Auch dies gehört dem König' in Terzinen, welches man lesen muss, um einen Begriff davon zu haben!"
 
	Jene, die ab der Reichsgründung 1870 Herwegh, Kinkel, Freiligrath und
	andere Lyriker, die wir wie den hier soeben im Fontane-Gedicht genannten
	Karl Beck schon nicht einmal mehr dem Namen nach kennen, seit Beginn des
	Kaiserreichs verbannt haben - zweifellos nun für immer verbannt haben
	- aus Schullesebüchern, Anthologien und damit überhaupt vom Markt,
	diese kaiserlich deutschen Schulbeamten, walteten nach dem Spießercredo
	des deutschen Michels mit der Zipfelmütze: "Politisch Lied - ein garstig
	Lied": Verräter allesamt der bürgerlichen Revolution ihrer Väter,
	der von 1848! Da sie in Blut oder Verbannung erstickt worden waren, die 48er,
	so angeblich, "gehörten" sie so wenig mehr in ein Schullesebuch wie
	dann in der Adenauer-Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg alle politischen
	Märtyrer der Weimarer Republik, aber auch der Hitlerzeit: Die zwei
	Selbstmörder - aus politischen Gründen - Ernst Toller und Kurt
	Tucholsky, um auch wieder nur zwei zu nennen, kommen so wenig vor in der
	1953 Maßstab setzenden Anthologie der BRD: 'Ergriffenes Dasein', wie
	die von den Nazis gemordeten Bonhoeffer und Haushofer dort zugelassen sind
	- weil sie, warum sonst!, weil sie politische Gedichte geschrieben hatten.
	 
	Hätten sie wenigstens christlich gedichtet, so hätten Holthusen
	und Kemp sie geduldet in ihrer Anthologie, die für die Generation der
	Nachkriegs-Lehrer - und wann lernten junge Menschen Gedichte kennen, wenn
	nicht durch ihre Lehrer! - die Weichen stellten ... Lustig, dass die
	Auswählenden - Holthusen selber war ein guter evangelischer Lyriker
	- überhaupt nicht angekränkelt waren von der Einsicht, die Marx
	unsterblich gemacht hat: "Unser Sein bestimmt unser Bewusstsein" - und also
	nicht einmal ahnten, dass auch sie eine eminent politische Entscheidung
	fällten, als sie sämtliche Gedicht politischen Inhalts konsequent
	ausschlossen aus ihrem 'Ergriffenen Dasein', zugunsten christlicher im sich
	christlich gebenden Adenauer-Staat ... Als sei nicht Christentum ebenso Politik
	wie das Kommunistische Manifest! Auch ich habe neulich erfahren, dass die
	Kulturministerin Baden-Württembergs meine Erzählung: 'Eine Liebe
	in Deutschland' als Schullektüre verboten hat: seit dem Filbinger-Prozess
	war sie Abiturienten-Lektüre gewesen ...
	 
	Eine Illusion jedoch, zu glauben, die Nichtzulassung politischer Autoren
	in Lesebüchern und zur Mitwirkung im Theater, im Fernsehen, im Rundfunk,
	also in allen von der Gesellschaft: Staat und Städten finanzierten
	kulturellen Institutionen in Deutschland; und eo ipso auch die Aussortierung
	aller politisch Ärgernis erregenden Dichter aus dem Kanon der als
	Schullektüre zu überliefernden -, dieses Wegwerfen werde jemals
	politisch begründet! Nie. Nein, das erfolgt als Denunziation: Diese
	Texte "genügten leider sprachlich literarischen Ansprüchen nicht"!
	Wie oft auch meinesgleichen mit diesem Verdikt weggeschmissen wurde - es
	gab nicht einen Hinauswurf, nicht einen, der anhand des Zitierens einiger
	meiner Zeilen diese Aburteilung belegt hätte! Verzeihung, doch
	Selbstverteidigung geschieht ja nicht nur aus Eitelkeit, sondern meist
	notgedrungen ...
	 
	Wie sehr auch die Grimms in der leisetretenden Biedermeier-Gesellschaft als
	fast nicht zu erwähnendes politisches Ärgernis empfunden wurden
	nach ihrem Hinauswurf in Hannover, dokumentiert seit 1985 im Insel-Verlag
	'Der Briefwechsel Bettina von Arnims mit den Brüdern Grimm': Allein
	dieser unerschrockenen Frau ist es zu denken, dass im Jahr seiner Thronbesteigung
	Friedrich Wilhelm IV. den Grimms in Berlin - absolut vorbildlich - ihre
	Versorgung zur lebenslänglich freien Berufsausübung gewährte,
	vorbeiverordnet an der feigen Ministerialbürokratie und an seinem Schwager
	Ernst August von Hannover, der als König in Deutschland - englisch mit
	dem Berliner Kronprinzen über die Grimm reden musste, so wenig deutsch
	konnte er, wenn er hysterisiert war; und er wurde hysterisch, als der Kronprinz
	von Preußen ihm 1838 - Zitat: "frei von der Leber weg erklärte,
	dass wenn es von mir abhinge, ich alles tun würde, um die Brüder
	Grimm für Berlin zu gewinnen. - Der König antwortete englisch"
	- Kronprinz Friedrich Wilhelm hat englisch unterstrichen in seinem Brief
	-, "antwortete englisch, da ihm in anderen Sprachen die Ausdrücke fehlten,
	um sein Entsetzen über meine Ansicht auszudrücken. Er führte
	aus, dass der Staat untergehen müsse, der Leuten zu lehren erlaube,
	welche die u. die Grundsätze hätten" ... Doch sofort als er König
	geworden, berief der Hohenzoller die Grimms, Humboldt schreibt schon am
	27.10.1840, noch bevor der König zu seiner Krönung nach
	Königsberg aufgebrochen sei, habe er angeordnet, Zitat: man "solle ihnen
	beiden, da sie wie Mann und Frau leben, eine von den Grimms selbst zu fordernde
	Pension anbieten" ... Fabelhaft!
	 
	Politik und Literatur - so sei denn auch noch daran erinnert, dass neben
	Uhland Jacob Grimm der bedeutendste Autor war, der als Abgeordneter der
	Paulskirche angehört hat. Und heute aus Basel kommend, freut es mich,
	uns ins Gedächtnis zu rufen, dass Jacob Grimm nur dort, nur in Basel
	1838 seine Schrift über die Entlassung in Göttingen und die
	Rückkehr in die Heimat Hessen-Cassel -, veröffentlichen konnte;
	in Deutschland verwehrte ihm das die Zensur. Sie kennen vermutlich die
	rührende Stelle in Grimms Verteidigungsschrift: Wie eine alte Frau,
	ihren Enkel auf dem Arm, zu diesem sagt, als Grimm die Grenze zwischen dem
	Königreich Hannover und dem Kurfürstentum Hessen-Cassel wieder
	überschreitet: "Gib dem Herrn die Hand, er ist ein Flüchtling!"
	 
	Jacob Grimm selbst hat keineswegs nur in seiner Rede zum Schiller-Zentenarium
	illusionsfrei darauf hingewiesen, dass Sprache nicht ein dauernder Besitz
	ist, deren ein Volk, eine Nation sicher sein können - sondern dass Sprache
	verloren gehen kann, zeitweise oder auch auf ewig wie die Freiheit, die ja
	auch stets erneut behauptet, erkämpft werden muss: Grimm selbst war
	in dem Jahrhundert geboren, in dem Deutsch noch viel gründlicher durch
	das Französische bedrängt, ja verdrängt worden war als heute
	durch das Englische; nicht nur als Amtssprache, sondern auch noch als
	Gesellschafts-Rotwelsch. Und so wie die Sprache deren wertvollste Produkte:
	Die deutschen Dichtungen! Grimm sagte da zum Schiller-Zentenarium:
	 
	"Längst waren uns sprache und dichtkunst der eigenen frühen vorzeit
	ausgestorben und nur trümmer sind davon übrig geblieben, die
	lebensvollen gedichte des mittelalters drückte träge vergessenheit;
	als endlich der staub wieder von ihnen abgechüttelt wurde, vermochten
	sie nicht mehr warm an das volk zu treten, aus dessen augen das bild einer
	großen einheimischen poesie entschwunden gewesen wäre, hätten
	es nicht plötzlich zwei fast unmittelbar am horizont des vorigen
	jahrhunderts aufleuchtende gestirne hergestellt und unseren stolz von neuem
	emporgerichtet" ...
	 
	So Jacob Grimm - wir heute können das nur noch mit Wehmut zitieren,
	weil keineswegs mehr zutrifft, was Grimm nicht nur vorausgesagt, sondern
	bereits, bevor er 1863 gestorben ist, als längst eingetretene Tatsache
	beobachten konnte: Deutsch und deutsche Dichtung waren dank der beiden: Goethe
	und Schiller - zur Weltsprache, zur Weltliteratur geworden!
	 
	Das ist vorbei, machen wir uns nichts vor: Der sehr alte Thomas Mann sagte
	resigniert, es sei ein "namenloses Unglück", als Deutscher auf die Welt
	zu kommen, wenn man zum Schriftsteller geboren sei; und als er einen Monat
	nach Kriegsende, noch lange in der kalifornischen Emigration, siebzig wurde,
	reimte ihm Carl Zuckmayer in der Festschrift:
	 
	  
	  "Jeder denkt, sein Englisch wäre gut, wenn er nur den Mund verstellen tut ...
 Aber ach in Deiner stillen Kammer
 Spürest Du der Sprachverbannung Jammer
 ... Welch ein Glück noch, dass man seinen Mann
 Im Stockholmer Urtext lesen kann -!"
 
	Jungen Leuten muss das erläutert werden: Der Schwiegersohn S. Fischers
	war mit seinem Verlag aus Berlin 1935 nach Stockholm emigriert, wo Bermann
	vorbildlich während des Krieges die Gesamtausgabe Thomas Mann deutsch
	druckte.
	 
	Zuckmayer hat in diesen 'Kleinen Sprüchen aus der Sprachverbannung'
	dem Ausdruck gegeben, was nicht wenige Autoren, sicher auch Tucholsky, in
	den Selbstmord getrieben hat: Die Verbannung aus dem Gebiet der Muttersprache:
	 
	  
	  "Die Übersetzung ist ein Wurzelmesser. Sie kappt und schneidet, wo es keimend wächst.
 Das Mittelmäßige macht sie häufig besser,
 Vom Bessern bleibt zur Not der nackte Text ..."
 
	So musste sogar Thomas Mann - von seinem Bruder Heinrich gab es damals kein
	einziges Buch in den USA zu kaufen, der fast Achtzigjährige wäre
	verhungert nach dem Selbstmord seiner Frau, die in einer Wäscherei
	gearbeitet hatte, würde nicht Schwägerin Katia Heinrich ernährt
	haben -, sogar Thomas Mann musste damals (am 19.12.1948) seufzen, in einem
	Brief: "Das nächste Mal wollen wir doch ja woanders geboren werden!"
	 
	Und noch mit sechsundsiebzig schrieb er dann dem Schweizer Erzähler
	A. M. Frey: "Wir armen Deutschen! Einsam sind wir im Grunde, auch wenn wir
	'berühmt' sind. Niemand mag uns eigentlich und hat Lust, sich um uns
	zu bekümmern in den anderen Kulturen, ein paar germanistische Spezialisten
	ausgenommen. [...] Dass die in die angelsächsische Kultur und Sprache
	Hineingeborenen sich um ihre eigene Sphäre und um einander kümmern
	und ärgerlich sind, wenn sie sich auch noch um einen hereingeschneiten
	und scheinbar anspruchsvollen, in Wahrheit aber sehr scheuen 'Germanic approach'
	kümmern sollen, ist ja nur natürlich ...
	 
	Deutsch - weltbürgerlich - als Weltbürger wieder extrem deutsch
	- und darin wieder absonderlich, - so steht man da, gelesen in denaturierenden
	Übersetzungen, die jeden ursprünglichen Reiz verwischen, - ein
	großer unbeliebter Name. Ich weiß nicht, ob ich sagen darf:
	unbeliebt, weil unbekannt. Das Deutsche ist namenlos unpopulär, das
	steht fest, und ein deutscher Schriftsteller zu sein ein großes Malheur,
	ein nie aufzuholender Nachteil. In die englische oder auch die französische
	Kultur hineingeboren zu sein, was für ein Vorzug, ein wieviel leichteres Dasein! Deutsch sein macht scheu. Zur autobiographischen
	Vertraulichkeit regt es nicht an.
 
	Auch Sie - wenn Sie englisch schrieben oder französisch, wieviel besser
	wären Sie daran! Ihre Geschichten würden Ihnen nicht versauern
	und etwas dem 'Verteufelten Theater' Entsprechendes nicht Jahre lang bei
	den Verlegern herumliegen, wenn Sie Fry hießen, statt Frey. 'Ein deutscher
	Schriftsteller - ein deutscher Märtyrer', sagt schon Goethe, selbst
	der!"
	 
	Und als Richard II. den Mowbray außer Landes weist für immer,
	lässt Shakespeare den Verbannten die Ausweisung aus dem Sprachgebiet
	als Todesurteil empfinden:
	 
	  
	  "Die Sprache, die ich vierzig Jahr gelernt, Mein mütterliches Englisch soll ich missen ...
 Was ist Dein Urteil denn als stummer Tod,
 das Heimatlaut zu reden mir verbot?"
 
	Burckhardt weiß zu berichten, dass die Griechen keine fremden Sprachen
	lernten - daher Verbannung auch ihnen tatsächlich das Todesurteil bedeutete.
	Aber nicht allein die Hitlerzeit hat dafür gesorgt, dass Deutschschreibende
	nicht gewollt werden.
	 
	In Großbritannien und den USA zusammen gibt es am Theater, seit die
	Emigranten aus der Hitlerzeit tot sind, noch einen Menschen - einen: meinen
	Übersetzer, den Dramatiker David Robert MacDonald, der Deutsch lesen
	kann und am 25. Oktober in Glasgow mein Mozartstück: 'Nachtmusik'
	uraufgeführt hat. Und kein Trost, da Englisch herrscht wie einst
	Jahrhunderte lang das Latein und das Französische bei uns geherrscht
	haben, - dass auch diese beiden Sprachen als Okkupanten, als Herrscher über
	das Deutsche schließlich wieder bachab gegangen sind: Denn das Englische
	hat ja heute keineswegs wie damals Latein, später Französisch allein
	"Gebildete", die Spitzen der Gelehrten- und Gesellschafts-Welt übermannt,
	sondern wird - schon dank des Computers - zur Volkssprache werden auch bei
	uns ...
	 
	Ich freue mich deshalb, dass ausgerechnet der in Deutschland populärste
	englische Dichter Peter Ustinov im September in 'Welt am Sonntag' begründet
	hat - eine durchaus politische Begründung - warum, Zitat: "die
	Sprachverwirrung von Babylon das größte Geschenk für die
	Menschen gewesen ist, das eine Gottheit den Menschen machen konnte; und ganz
	irrtümlich von 'Strenggläubigen' als Strafe Gottes für die
	damaligen Missetaten der Menschheit angesehen wird". ... Denn, so Ustinov,
	"Durch das Nichtmiteinander-Redenkönnen kam eine Art Mysterium ins Spiel,
	das unüberlegte Aggressionen hemmte und die Vorsicht auf den Plan rief
	... ohne die sich die Menschheit längst ausgelöscht hätte"
	... Ob man bis zu dieser Folgerung gehen kann - wie sollte ich's wissen,
	aber auch ich habe schon vor dreißig Jahren vorgewarnt, darf ich zitieren:
 
	"Schwächung allein humanisiert Großmächte, divide et libera.
	Jeder Staat hat genau das Maß von Anstand, das dem Maß seiner
	Angst entspricht. So ist die tiefste politische Logik im Alten Testament
	das Gleichnis von der babylonischen Sprachverwirrung: die Menschen sollen
	nicht zur Einheit kommen, zum Weltstaat, zu einer Sprache. Es wäre das
	die Auslöschung aller Freiheit, die ihrer Natur nach niemals in einem
	Staat, in einem System, einer Religion oder Partei zu finden ist - sondern
	allenfalls zwischen mehreren."
	 
	Wie wird man als Autor fertig, meine Damen und Herren, mit einem solchen
	Ritterschlag, der erste Jacob-Grimm-Preis sei einem zugefallen? Nun, ich
	brachte Jacob Grimm sieben Sonnenblumen aufs Grab; S-Bahnstation
	York-Straße ist die des ehrwürdig alten Matthäi-Kirchhofs
	in Schöneberg, auf dem auch am 20. Juli 1944 in aller Hast die ersten
	fünf Verschwörer verscharrt worden sind: Zu ihrem Glück noch
	erschossen, nicht wie alle anderen später nackt in Klaviersaiten erdrosselt
	... (Hitler ließ sie dann wieder ausgraben, verbrennen und ihre Asche
	wegstreuen.)
	 
	Steht man am Grabe der beiden Grimms - die das einzige Buch schrieben, ohne
	das kein Deutscher aufgewachsen ist; steht da als einer, dessen
	tagtägliches Arbeitszeug die Sprache ist, die ihn auch ernährt,
	so kann man nur mit einem Stoßgebet die Verpflichtung erneuern, nach
	Kräften, so schwach sie auch sind, diese bedrückende Voraussage
	von der kommenden Weltherrschaft des Englischen zu sabotieren ... ein ungleicher
	Kampf, machen wir uns nichts vor! Aber einen Versuch, womöglich den
	letzten, muss doch unsere Generation machen, nach dem Vorbild der
	Französischen Akademie dagegen gesetzliche Maßnahmen zu fordern.
	Viele verlachen das als Überfremdungsängste. Ich kann's nicht komisch
	finden, weil mir nichts anderes einfällt, wie sonst eine fortwährende
	Sprachverhunzung einzudämmen ist.
	 
	Ich habe in den Münchner und Berliner Akademien am 4. und 5. Oktober
	beantragt, - analog dem Beispiel der Pariser Akademie - Maßnahmen zum
	gesetzlichen Schutz des Deutschen vor der Übermacht des Englischen
	auszuarbeiten, um sie dem Gesetzgeber, sachkundig formuliert, nahezulegen.
	Friedrich Dieckmann, Günter Grass, Norbert Miller, Peter Wapnewski haben
	ihre Mitarbeit zugesagt, zu versuchen, so vorbildlich wie die Franzosen unter
	de Gaulle schon seit 1966 offensiv gesetzgeberisch vorzugehen, um unsere
	Sprache zu schützen.
	 
	Dagegen der Gründer des Berliner Wissenschaftskollegs Wapnewski noch
	1980 gegenüber Berliner Behörden eindringlich begründen musste,
	dass er das Deutsche als Sprache seines Instituts in der Wallot-Straße
	vorsehe! Da fällt einem Churchills verächtliche Bemerkung über
	uns Deutsche ein: "Entweder man hat sie an der Gurgel oder zu Füßen."
	Ist ein anderes Land denkbar, das der internationalen Wissenschaft, auf allein
	seine Kosten, ein solches Institut schenkt, dessen Sprache dann eine fremde
	sein sollte?
	 
	Der Diplomat Carl J. Burckhardt schrieb, nachdem sein Großonkel Jacob
	das Verschwinden des Deutschen menetekelt hatte, neunzig Jahre später
	dem Historiker Ritter:
	 
	"Mich wunderte immer, dass die Deutschen mit so wenig Nachdruck dagegen
	protestieren, dass ihre Sprache in keiner der nach den beiden Kriegen
	entstandenen großen internationalen Organisationen zugelassen ist,
	weder im Völkerbund noch in der UNO, noch in der UNESCO etc. Diese
	Diskrimination ist gewollt, man spricht in der UNO englisch, französisch,
	russisch, spanisch und chinesisch, jede Rede wird simultan in alle diese
	Sprachen übersetzt, aber die deutsche Sprache hört man nicht. Deutsche
	Redner, die sich in Fremdsprachen äußern, auch wenn sie als
	fleißige Leute diese Sprachen gut beherrschen, entbehren jeder Wirkung."
	 
	Des Kaisers letzter Botschafter bis 1917 in Washington, Graf Bernstorff,
	hat 1936 seinen blitzgescheiten Memoiren noch einen Band mit Privatbriefen
	folgen lassen, darin sein Resümee: 'Die englische Sprache hat den Weltkrieg
	gewonnen.'
	 
	Sie wird auch von allen Literaturen allein die ihre überdauern lassen.
	Schon vor einem Dutzend Jahren sagte der damalige Rowohlt-Chef Michael Naumann,
	aus den USA kommend, aus denen Rowohlt mehr Bücher importiert als jeder
	andere: 'Ich kann keinen Deutschen drüben mehr verkaufen, weil es in
	sämtlichen belletristischen Verlagen New Yorks zusammen - noch einen
	einzigen Menschen gibt, der Deutsch lesen kann: den bald siebzigjährigen
	Wiener Emigranten Fred Jordan.'
	 
	Ich erlaubte mir 1998 in meinem SPIEGEL-Essay: 'Deutsche Sprache - bye, bye'
	arg verspätet daran zu erinnern:
	 
	"Wenn Fiat in Turin oder Mitsubishi in Tokio deutschen Goethe-Häusern
	in Rom oder Japan hunderttausend DM spenden, so müssen fortan 41 Prozent
	an Waigels Finanzministerium abgeführt werden! Was ist das Verbot eines
	Buches - gemessen an diesem Diebstahl sogar ausländischer Geschenke
	für den Haushalt der deutschen Sprache? Hat je eine geistfeindlichere
	Mischpoke Deutschland regiert? Jünger notierte, Bismarck habe abgelehnt,
	'Einkommen aus musischen Tätigkeiten zu besteuern'!"
	 
	Doch wozu - resignierte Schlussfrage - nach sechzehn (!) Jahren ein
	Regierungswechsel? Es blieb ja doch bei der Einschränkung, ja Streichung
	von Goethehäusern. Es blieb, ob Waigels, ob Eichels Finanzministerium,
	wie mir am Sonntag der Präsident der Goethehäuser, Hilmar Hoffmann,
	geklagt hat, usus unter Kanzler Schröder, ebenso wie einst unter Kohl,
	41 % sogar ausländischer Spenden zur Verbreitung deutscher Sprache den
	Goethehäusern zu rauben! Hoffmann berichtet geschockt, dass
	Außenminister Joschka Fischer, den er seinen "Zuwendungsgeber" nennen
	muss - offenbar beruht Geld für die deutsche Sprache auf Gnadenakten
	-, ihm auferlegt hat, bis 2003 elf Prozent seines Etats einzusparen,
	nämlich 26,4 Millionen DM, was binnen eines Jahres zur Schließung
	von fünf Häusern geführt hat ...
	 
	Und Hilmar Hoffmann erzählt, der hundertjährige Gadamer,
	Ehrenbürger Neapels, sei der einzige Autor, der gegen die Schließung
	des Goethehauses in Palermo angeschrieben habe, wo jährlich vierhundert
	Italiener Deutsch lernen. Die Abschaffung der Deutschkurse "glückte"
	zwar in Triest, doch nicht in Palermo, weil dessen Bürgermeister in
	Heidelberg studiert hat und nach der Androhung, das Goethehaus werde zugemacht,
	ihm die Miete erließ und fünf Sechstel der Kosten übernahm.
	Hoffmann: "Neulich hat Reemtsma uns seine Wieland-Gesamtausgabe spendiert,
	doch wir haben kein Geld fürs Porto, die Kassette an die Goethehäuser
	zu versenden."
	 
	Internationes wie Goethehäuser müssen zwei Prozent ihrer
	Festangestellten jährlich "aussanieren", wie das mit schäbigem
	Zynismus neudeutsch genannt wird, und dürfen keine durch Krankheit oder
	Pensionierung Ausgefallenen ersetzen.
	 
	In dem Maß, in dem sein Globalisierungswahn wächst, kürzte
	früher Bonn, kürzt heute Berlin die Mittel, im Ausland Deutsch
	zu lehren - doch macht sich unsere Regierung, scholastisches Glasperlenspiel,
	sinnlose Gedanken, ob Maßstab mit drei s geschrieben werden solle:
	Die Reform unserer Sprache ist ihr wichtig, an ihrer Erhaltung ist ihr nichts
	gelegen.
	 
	Ich danke Ihnen. 
	 
	Quelle:
	www.uni-tuebingen.de/rhetorik/hochhuthrede.htm 
	 
	 
	 
	  
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	      Wer die Sprache nicht ernst nimmt, nimmt das Leben
	      der Menschen nicht ernst. -
 Wörter sind nicht nur Wörter. Sie sind Taten an der Seele des Lesers.
 
	      Ernst Alexander Rauter
	     |  
	 weitere Seiten zum Thema Sprache
 
 
 
	 Mit freundlichen Empfehlungen
 Humanistische AKTION
 
 12/2001
 
 
 
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