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Natur- und Wald-Kindergärten

Spielzimmer Wald  

Für Veronika aus Johannesbrunn im Landkreis Landshut beginnt jeder Morgen mit einem Verwandlungsspiel: Denn wie bei einer Zwiebel folgt Hülle auf Hülle, Haut um Haut, solange, bis ein richtig gut verpackter wasserdichter Wichtel aus ihr geworden ist. Wind- und wasserfeste Kleidung im "Zwiebellook" nämlich gehören bei Veronika zur Grundausrüstung für den Besuch im Kindergarten. Wenn auch noch der Südwester und die dicken Handschuhe sitzen, kann es endlich losgehen.

Seit einem Jahr gibt es für die Jüngsten aus Johannesbrunn und dem benachbarten Schalkham nun endlich einen Kindergarten. Der allerdings ist etwas ganz besonderes, einmal, weil er allein auf Initiative der Eltern entstanden ist, zum anderen aber ... doch davon später, denn am Bus warten schon jede Mange andere Gartenzwerge und es wird höchste Zeit loszufahren.

Der Weg führt geradewegs in die Natur. Denn der neue Kindergarten der Gemeinde Schalkham findet ausschließlich im Wald statt, täglich und bei jedem Wetter. Ein festes Haus für die Kleinen gibt es nicht. Der Bauwagen dient nur als Unterstand für die notwendigen Utensilien und als Wartehäuschen, wenn die Muttis und Papas die die kleinen Zwerge schon einmal früher abgeben. Das Programm ist spannend: Drei Stunden im Winter, vier Stunden im Sommer, jede Menge Platz zum Spielen und Toben, viel frische Luft und Abenteuer ohne Ende.

Das Spielzeug, auch das gehört zum Konzept, liefert die Natur. Schließlich gibt es hier immer und überall Neues zu entdecken. Die Kinder finden so zu sich selbst, weil sie nicht dauern von Reizen überflutet werden.

Die Idee des Waldkindergartens kommt aus Dänemark. Schon seit rund 20 Jahren setzt man dort in vielen Einrichtungen die lieben Kleinen an die frische Luft, übrigens mit den besten Erfahrungen. Denn die Kinder werden nicht krank und sie sind motorisch gut drauf, das heißt, sie stolpern nicht, ganz zu schweigen vom Appetit nach soviel Waldspaziergang . Da wird es wirklich höchste Zeit für die Frühstückspause. Doch halt, zuerst kommt natürlich noch das Händewaschen.

Die Kälte, es ist immerhin rund ein Grad minus und es schneeregnet, macht den Kindern nichts aus. Sie sind abgehärtet und wer kalte Füße bekommt, tobt eben mal los. Für den Notfall haben die Erzieherinnen alles dabei: Ein Telefon für die Verbindung zur Außenwelt und natürlich einen Verbandskasten, doch der wird nahezu nie gebraucht.

Wie in jedem Kindergarten müssen natürlich auch die Jüngsten aus Schalkham dann noch ein wenig die Schulbank drücken. Auch da sind alle voll dabei, denn Konzentration ist für diese Naturburschen kein Problem: schließlich hat man sich ja den ganzen Vormittag ausgetobt.

Die Zeit ist wie im Flug vergangen. Ein wenig müde sind die Wichtel nun schon, wenn sie heimwärtsziehen. Dafür fehlt ihnen die aggressive Stimmung, die oft nach einem lauten Tag im normalen Kindergartentrubel folgt.

Und noch etwas: Die Kinder müssen nicht. Das Thema Entsorgung ist kein Problem. Für den Notfall aber haben die Erzieherinnen eine Schaufel dabei.

Gertrud Helm, TV-Sendung UNSER LAND, BR 18. 04 1997

 

Vollendete Natur
muß in dem Menschenkinde leben,
eh´ es in die Schule geht,
damit das Bild der Kindheit
ihm die Rückkehr zeige aus der Schule
zu vollendeter Natur.

Friedrich Hölderlin

  

Natur- und Wald-Kindergärten
 
Ein Kindergarten ohne Dach, ohne Wände, ohne Spielzeug und ohne aufwendige Klettergerüste - aber mehr Spaß? In Dänemark gibt es mittlerweile bereits über 60 dieser sogenannten "Waldkindergärten". Aber auch bei uns scheint das Interesse daran zu wachsen.

Naturkindergärten

Immer mehr Eltern wünschen, daß ihre Kinder Natur erleben können und von frühester Kindheit an zu einem schonenden Umgang mit der Natur erzogen werden. Auch bei Trägern und Erziehern wächst das Bewußtsein über die Bedeutung des Wechselspiels von Natur und Umwelt und beeinflußt und verändert das pädagogische Konzept. Vielerorts wurden die Spielflächen im Freien unter ökologischen Gesichtspunkten verändert. Beispielsweise wurden Teile von Wiesen rekultiviert, Wasserstellen und Biotope geschaffen, der Gartenanbau in Zusammenarbeit mit Kindern erweitert, Kleinviehhaltung angelegt (beispielsweise Hühner, Kaninchen). So erhalten immer mehr Kinder die Chance vielfältiger unmittelbarer Erfahrens- und Erlebnismöglichkeiten über das allgemein bekannte Konzept einer Tageseinrichtung hinaus. Gleichzeitig wird so bei Kindern die Grundlage für ökologische Zusammenhänge und naturschützendes Verhalten im Erwachsenenalter gelegt.

Vereinzelt bezeichnen sich Tageseinrichtungen, die in der geschilderten Weise die Auseinandersetzung mit der Natur zum Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht haben, als "Naturkindergarten". Aber auch Einrichtungen, deren Errichtung und Ausstattung maßgeblich unter ökologischen Gesichtspunkten vorgenommen wurden, nennen sich teilweise "Naturkindergarten'.

Der Waldkindergarten

Bundesweit neu ins Gespräch gekommen ist in jüngster Zeit der Waldkindergarten. Wenn auch konzeptionell ähnliche oder gleiche Ziele wie im Naturkindergarten angestrebt werden, so unterscheidet sich der Charakter des Angebotes eines Waldkindergartens in wesentlichen Aspekten.

"Waldkindergärten" gibt es in Dänemark seit mehr als zwanzig Jahren. Hier werden Kinder ganzjährig ausschließlich unter freiem Himmel betreut: Im Winter drei, im Sommer vier Stunden täglich. Eine Schutzhütte, Blockhaus oder ähnliches gibt es bei dieser Betreuungsform nicht. Entsprechend der Konzeption des Waldkindergartens ist ein solcher Raum nicht erforderlich.

In Deutschland ist die Existenz von vier Waldkindergärten bekannt. Die Einrichtung in Berglen (Baden-Württemberg, im September 1994 eröffnet) und der "Wanderspielkreis" in Wiesbaden (gegründet 1984) betreuen Kinder ausschließlich unter freiem Himmel. Die beiden Waldkindergärten in Flensburg (im Mai 1993 eröffnet) und Lübeck (im September 1994 eröffnet) verfügen jeweils über eine Schutzhütte zum Aufenthalt bei Wetterwidrigkeiten.

Die genannten Einrichtungen verstehen sich als Alternative, teilweise als Ergänzung zum "allgemeinen Kindergarten".

Als wesentliche Ziele der Arbeit werden genannt:

- Eröffnen vielfältiger, unmittelbarer Erfahrungswerte durch das Leben in und mit der Natur,

- die Förderung des Verständnisses ökologischer Zusammenhänge,

- die Erziehung zu schonendem Umgang mit der Natur,

- die Stärkung des Immunsystems.

- der Abbau von Aggressionen durch viel Bewegung im Freien.

Gegenüber der reizüberfluteten Lebenswelt wird der Aufenthalt im Wald als besondere Chance zur Förderung von Phantasie, Intuition und gestalterischer Kräfte der Kinder gesehen - als gleichzeitiger Beitrag zur Suchtprävention.

Die Grundausstattung dieser Kindergärten besteht aus einem Bollerwagen zum Transport der Rucksäcke der Kinder, einem Erste-Hilfe-Kasten, einem tragbaren Telefon.

Soweit bekannt, werden die Kinder in festen Gruppen mit maximal 15 Kindergartenkindern betreut. In der Regel sind zwei ausgebildete Erzieher und eine weitere erwachsene Person (auch Erzieher im Anerkennungsjahr) eingesetzt.

Fachliche Bewertung

Der Waldkindergarten ist ein Betreuungsangebot mit eigener Qualität. Es erscheint sinnvoll für Familien, deren Lebensphilosophie an der Natur ausgerichtet ist, die das Leben in und mit der Natur von Geburt ihres Kindes an stark in ihr Familienleben einbeziehen und dies auch in der außerhäuslichen Kinderbetreuung fortgesetzt wissen möchten. Die freie Wählbarkeit eines solchen Platzes muß deshalb immer gewährleistet sein.

Unter diesen Gesichtspunkten wird der oben dargestellte Gedanke, alle Gruppen einer Tageseinrichtung im Wechsel organisatorisch über mehrere Monate als Waldkindergartengruppe zu führen, kritisch gesehen. Das kann dazu führen, daß Kindern im Kleinkindalter das Leben in "zwei Welten" zugemutet wird, die ohne Verbindung nebeneinander stehen.

Problematisch erscheint auch, eine Waldkindergartengruppe im Mehrzweckraum einer bestehenden Einrichtung anzusiedeln. Bei Wetterwidrigkeit wäre dieser Raum von der Waldkindergartengruppe belegt und stünde den "Stamm-Gruppen" gerade zu einem Zeitpunkt nicht zur Verfügung, wo auch diese Bewegungsmöglichkeiten außerhalb des Gruppenraumes benötigten. Hier würde ein "Naturkonzept" auf Kosten des traditionellen Kindergartenkonzeptes und damit zu Lasten von Kindern umgesetzt.

Zusätzlich zur geschilderten Einstellung der Familien erscheint es unabdingbar, daß das im Waldkindergarten tätige Personal vom Leben in und mit der Natur selbst durchdrungen ist Nur so kann das Konzept glaubwürdig mit Kindern gelebt werden. Eine einschlägige Sach- und Fachkenntnis der Erzieher über die Pflanzen- und Tierwelt und über das Leben im Wald ist unerläßlich. Fundierte Informationen über Gefährdungen. beispielsweise durch Zecken, und Vorkehrungen der Abwendung müssen ebenfalls vorhanden sein. Ob es Möglichkeiten gibt, Infektionen durch den Fuchsbandwurm abzuwehren, ist derzeit ungeklärt.

Eine weitere, für das Gelingen der Maßnahme erforderliche Rahmenbedingung ist die kleine, in der Situation des Waldes noch überschaubare Gruppe, die nicht mehr als 15 Kleinkinder umfassen sollte. Zur Sicherstellung der Aufsichtspflicht sollten drei erwachsene Personen, davon zwei ausgebildete Erzieher, eingesetzt sein.

Bei Waldkindergärten, die von ihrer Konzeption her auch nur einen zeitweisen Aufenthalt der Kinder im Raum - beispielsweise bei Wetterwidrigkeiten - vorsehen, muß dieser für die Gruppe ausreichend groß sein. Seine Ausstattung muß den Spiel-, Bewegungs- und Erkundungsbedürfnissen von Kleinkindern entsprechen.

Bei der Gründung und Betriebsführung eines Waldkindergartens ist die Bereitschaft des Trägers und Personals erforderlich, mit den zuständigen Behörden wie Jugendamt, Landesjugendamt, Gesundheitsamt, gegebenenfalls Bauamt, untere Naturschutzbehörde und dem Förster zusammenzuarbeiten.

Kindern die Natur umfassend nahezubringen und unmittelbar erleben zu lassen ist auch im Sinne des Erhaltes natürlicher Ressourcen ein immer wichtigeres gesellschaftliches Anliegen. Unter den dargestellten Voraussetzungen kann der Waldkindergarten hierzu ebenso wie der Naturkindergarten einen wesentlichen Beitrag leisten. Konzeptionell breiter angelegt und auch den Betreuungsbedürfnissen einer größerer Elternschaft entsprechender kann die pädagogische Arbeit des Naturkindergartens sein. Dessen Konzept kann im Zusammenleben mit den Kindern und deren Eltern derart modifiziert werden, daß die Kinder sich über einen längeren Zeitraum täglich über mehrere Stunden in der Natur aufhalten.

Elemente naturnaher Arbeit sind heute in vielen Tageseinrichtungen zu finden und könnten bei entsprechender Unterstützung, Beratung und Fortbildung sicher ausdifferenziert und erweitert werden.

Zur Frage der Erlaubnispflicht

Gemäß § 45 KJHG bedarf der Träger einer Einrichtung, in der Kinder ganztägig oder für einen Teil des Tages betreut werden, einer Erlaubnis. In den Motiven zur Neuordnung des Kinder und Jugendhilferechts hat der Gesetzgeber dargelegt, daß nur Einrichtungen unter die Erlaubnispflicht fallen, die orts- und gebäudebezogen sind (vgl. Anlage: Auszug aus der Drucksache 11/50948 des Deutschen Bundestages vom 1.12.1989).

Der Waldkindergarten ursprünglichen Sinnes (ohne eigenen Raum) wäre damit ebenso wie der "Wanderspielkreis" nicht erlaubnispflichtig. Die Waldkindergartengruppe mit eigenem Raum benötigt dagegen eine Erlaubnis. Unabhängig von einer Erlaubnispflicht ist aus fachlichen Gründen eine kontinuierliche Beratung und fachliche Begleitung erforderlich.

Anlage: Auszug aus der Drucksache 11/50948 des Bundestages vom 1.12.1989 zu § 44 KJHG:

"Der Begriff 'Einrichtung' ist im Jugendwohlfahrtsgesetz nicht definiert.

Die Rechtsprechung hat ihn sehr weit interpretiert und auch ambulante Maßnahmen zur Betreuung Minderjähriger einbezogen (vgl. Bundesverwaltungsgericht vom 24.9.1969, FEVS 16, 401).

Nach heutigem Begriffsverständnis, das auch bei der Anwendung des Heimgesetzes zugrundegelegt wird, ist unter Einrichtung eine auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung von sächlichen und persönlichen Mitteln zu einem bestimmten Zweck unter der Verantwortung eines Trägers zu verstehen. Ihr Bestand und Charakter muß vom Wechsel der Personen. denen sie zu dienen bestimmt ist, weitgehend unabhängig sein. Wie im Heimgesetz fallen daher auch im Bereich der Jugendhilfe darunter nur Einrichtungen, die orts- und gebäudebezogen sind. Eine Auslegung des Einrichtungsbegriffs, die losgelöst von diesen Merkmalen ausschließlich am Betreuungszweck orientiert ist und auch ambulante Maßnahmen wie Kinderbetreuung bei Spaziergängen und Ausflügen einschließt (so BVerwG a.a.O.), ist weder vom Schutzbedürfnis der betreuten Minderjährigen her geboten, noch wäre die damit verbundene Aufsicht des Landesjugendamts praktisch durchführbar. Für solche Betreuungsmaßnahmen, die von den Eltern organisiert und verantwortet werden, reichen in der Regel die vormundschaftsrichterlichen Maßnahmen nach § 1666 BGB aus..."

aus: KiTa 5/96

Bewußt und reflektierend miteinander leben und wachsen,
die Kinder einfühlend begleiten, Entfaltung ermöglichen,
auch mal etwas fordern und begrenzen, mehr aber bestärken
und ermutigen, vor allem aber grundsätzlich akzeptieren,
möglichst lieben, das ist die beste Erziehung -
oder besser - Be-ziehung.

humanistisch

 
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    Adressen zum Thema

Waldkindergarten-Datenbank   -   Über 230 Einträge von Waldkindergärten, sortiert nach Bundesländern, PLZ-Bereichen oder bestimmten Namen sowie die Möglichkeit, einen neuen Waldkindergarten einzutragen.

Bundesarbeitskreis der Natur- und Waldkindergärten

Was ist ein Waldkindergarten?   -   Vorteile, Geschichte, Verein, Formulare, Literatur, Fragen, Gesundheit, Links ...

Forschungsarbeit über Waldkindergärten

Bauernhof-Kindergarten Olching

 

Es ist so angenehm, zugleich die Natur und sich selbst zu erforschen,
weder ihr noch dem eigenen Geist Gewalt anzutun, sondern beide
in sanfter Wechselwirkung miteinander ins Gleichgewicht zu bringen.

 
Johann Wolfgang von Goethe

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 Mit freundlichen Empfehlungen
 
Humanistische AKTION

7/1999   


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www.humanistische-aktion.de/waldkiga.htm

Aktualisiert am 12.11.11